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Fachverein Sinologie

Auslandaufenthalt mit Marissa in Nanjing

Ich studiere zwar nur im Nebenfach Sinologie, habe mich aber trotzdem dazu entschieden, für einen Auslandsaufenthalt nach China zu gehen, um meine Sprachfertigkeit zu verbessern und einen Einblick in die Kultur im Land selber zu erhalten. Dank eines Vollstipendiums des ‘China Scholarship Council’s konnte ich von September 2023 bis Juni 2024 ein Jahr an der Nanjing Normal University als ‘General Scholar in the program of Chinese Language' studieren. In den Ferien habe ich ausserdem die Gelegenheit genutzt, im Land reisen zu gehen.

Mit meiner Universitätswahl war ich sehr zufrieden. Zum einen hatte ich vorher darauf geachtet, dass ich an eine eher kleine Universität komme, um möglichst wenig Gelegenheit zu haben, Deutsch oder Englisch zu reden. Zum anderen war mir wichtig, dass die Lebensunterhaltskosten vom Stipendiengeld gedeckt werden können (Mensa: 9-19¥; auswärts essen: 20-40 ¥; Public transport: Bus 2 ¥). Desweiteren hat der Aspekt, ob die Einheimischen Dialekt reden und dadurch Verständnisschwierigkeiten entstehen könnten, eine Rolle gespielt. In Nanjing wird zwar schon Dialekt gesprochen, aber da die Stadt so viele Zuwanderer aus unterschiedlichen Provinzen hat, war es kein Problem sich in Modernchinesisch zu unterhalten. 

Allgemein denke ich, dass Nanjing als Austauschstadt für all diejenigen etwas zu bieten hat, die historisch interessiert sind, da es Hauptstadt vieler unterschiedlicher Dynastien war. Auch heute noch ist die zentrale Lage sehr praktisch, da man gute Zugverbindungen in andere Städte hat. Nach Besuchen von Beijing, Shanghai und anderen Städten würde ich Nanjing allerdings durchwegs als ein bisschen verschlafen einordnen, aber mit sehr eigenem Charme, den es zu entdecken lohnt.

In Bezug auf den Campus hatte ich das Glück, dass alle Language Students im Suiyuan Campus nahe Stadtmitte untergebracht wurden und so alles zu Fuss, mit der U-Bahn oder dem Velo gut erreichbar war. Zum Klassenzimmer mussten wir bspw. nur 10 min. laufen. Dadurch, dass die international students in den oberen Stockwerken des Campus-Hotels und einem Gebäude nebenan untergebracht wurden, hatten wir ausserdem keine wirkliche Ausgangssperre im Vergleich zu den chinesischen Student:innen.

Als Austauschstudent:innen im BA oder MA wurden wir immer in Zimmern zu zwei bis drei Leuten eingeteilt. Ich hatte das Glück, das meine Zimmermitbewohnerin vorerst nicht aufgetauchte. Erst nach acht Monaten wurde mir eine superliebe Mitbewohnerin aus Deutschland zugeteilt, die gerade das Abitur absolviert hatte. Wir hatten eine sehr gute Zeit zusammen und es war schön, sich so kennenzulernen und abends über die unterschiedlichen Alltagserfahrungen auszutauschen. Meine sonstigen Mitstudent:innen kamen aus den unterschiedlichsten Ländern wie Haiti, Kolumbien, El Salvador, Kamerun, Haiti, Russland, Italien, Laos, Ghana, Tadschikistan, Indonesien, Komoren, etc.. Prozentual gesehen, war Europa dabei als Kontinent nicht stark vertreten. Viele hatten keine Vorkenntnisse von Chinesisch und bereiteten sich darauf vor, nach einem Jahr in China an einer anderen Universität zu studieren. Durch den Unterricht, das Kochen in der Gemeinschaftsküche, selbst oder von der Uni organisierte Ausflüge, Neujahrs-Feiern und die vielen Kontakte auf dem Flur oder in den Zimmern haben sich auch da sehr herzliche Freundschaften ergeben.

An der Universität gab es vier unterschiedliche Stufen mit jeweils 1-4 Unterstufen. Nach einer Prüfung, die uns einen Anhaltspunkt liefern sollte, in welche Stufe wir gehen sollten, konnten wir selber entscheiden, welche Klasse wir uns zutrauen. Auf Anraten von Freunden ging ich schliesslich in die zweite Stufe in eine Klasse, die HSK 5 als Ziel anstrebte und in der alle schon so gut wie fliessend Chinesisch reden konnten, belegte dort allerdings zuerst nur den yufa- (Grammatik), kouyu- (Reden üben) und tingli- (Hörverstehen) Unterricht. Im zweiten Semester habe ich dann zusätzlich die Freifächer «Tourismus», «Schreiben» und «Zeitungslesen» besucht. Anfangs verstand ich relativ wenig im Unterricht, aber mit der Zeit wurde es immer besser und ich denke, ich habe definitiv viel mehr gelernt, als wenn ich in eine tiefere für mich einfachere Klasse gegangen wäre.

Neben dem Unterricht habe ich versucht, so viel Zeit wie möglich in der Stadt zu verbringen, um dort mein Chinesisch in der Praxis zu testen. Viele Leute in Nanjing waren sehr kommunikationsfreudig und genauso neugierig wie ich, sodass sich oft spontane Gelegenheiten zum Reden ergeben haben. Überdies haben nur schon die Schriftzeichen überall, die Busdurchsagen oder Telefonate mit den Didi-Fahrern Anreiz gegeben weiterzulernen, um mehr zu verstehen. Zudem bin ich sonntags in die Kirche gegangen, habe dort durch die jeweils einstündige Predigt ein intensives Hörverstehen gehabt und Freunde gefunden, die mich wochenendweise zu sich nach Hause einluden und mir die Stadt aus ihrer Perspektive zeigten. Wir haben u.a. Chinesisch gekocht, haben mit ihrem Auto Ausflüge in die Umgebung unternommen und vor kurzem haben sie mich sogar in der Schweiz besucht.

Auch das Reisen waren eine gute Gelegenheit, um ein bisschen in die Kultur einzutauchen und mein Chinesisch auf die Probe zu stellen sowie eine grosse Motivation dranzubleiben. Viele Taxifahrer haben sich über ein Gespräch gefreut und gerne etwas über ihre Stadt erzählt. Auch im Zug ergaben sich mit den Mitreisenden immer wieder nette Gespräche, selbstverständlich Selfies und teilweise sogar gemeinsame Ausflüge. So verbrachte ich bspw. einen ganzen Wandertag mit einer spontan zusammengewürfelten Gruppe oder wurde öfter zum Essen eingeladen. Desweiteren habe ich Jugendherbergen und insbesondere Mehrbettzimmer schätzen gelernt, weil sich auch dort immer wieder nette Begegnungen ergeben haben. Besonders in Erinnerung geblieben, sind mir auch die Kinder in einem tibetischen Dorf der Qinghai-Provinz, die uns liebend gerne als «Guide» ihr Zuhause gezeigt haben und die Besitzer unserer Unterkunft während des Chinesischen Neujahrfestes, die meinen Freund, mich und all die übrigen Gäste zu den allgemeinen Festlichkeiten eingeladen haben.

Eine meiner grössten Ängste vor China war, dass mir das chinesische Essen nicht schmecken könnte. Als ich gerade ankam, war ich von den Spezialitäten Nanjings (als erstes habe ich «Entenblutsuppe» 鸭血粉丝汤 gegessen) tatsächlich auch nicht gerade begeistert. Mit der Zeit habe ich allerdings viele Gerichte entdeckt, die mir sehr gut geschmeckt haben wie beispielsweise Malatang 麻辣烫 (eine Suppe, bei der man selber die Zutaten auswählt, aus denen frisch eine Suppe gekocht wird) oder Lanzhou lamian 兰州拉面 (aus Gansu stammende Nudeln, Gericht und Laden haben denselben Namen und es war immer wieder faszinierend den Koch live die Nudeln «ziehen» zu sehen). Ausserdem haben meine chinesischen Freunde immer ganz genau gewusst, wo es leckeres Essen gibt und da ich mich nicht echauffieren wollte, habe ich mit ihnen auch so einiges probiert, was ich von mir aus vielleicht nicht probiert hätte. Auf die Nachfrage, worum es sich denn handelt, habe ich grösstenteils sowieso lediglich die Antwort haochi好吃 (lecker) erhalten. Dazu gehörten u.a. Gehirn oder Schweinehaut.

Die Auswahl des Essens in China ist wirklich riesig. Ende meines Jahres hatte ich bspw. immer noch nicht alle Gerichte in der Mensa durchprobiert, weil es in unseren vier Mensas ca. sieben unterschiedliche Stände hatte, wo wiederum 20 unterschiedliche Gerichte bestellt werden konnten.

Anfangs meiner Zeit in China bin ich sehr viel auswärts essen gegangen oder in der Mensa. Mit der Zeit habe ich jedoch angefangen, mir zum Frühstück oder Abendessen Brot zu kaufen und in der Wohnheimsküche zu kochen wie einige meiner Kommiliton:innen, die entweder das Essen vor Ort nicht mochten, religiöse Gründe hatten oder einfach mal wieder ihr eigenes Essen kochen wollten. Im Vergleich zu Schweizer Kolleginnen in anderen Städten hatte ich das Glück, dass in Nanjing ziemlich viele koreanische Firmen angesiedelt sind und deswegen auch viele Filialen von Paris Baguette vor Ort sind, in deren Sortiment sich nicht nur das oft übliche süsse und weiche Brot finden lässt. Bezüglich des Kochens war ich ausserdem zuerst ziemlich erstaunt, dass man sich die ganzen Küchentools selber besorgen musste und nicht einmal eine Herdplatte zur Verfügung gestellt wurde.

Wenn ich jetzt auf meine Zeit in China zurückblicke, bin ich sehr dankbar für all die Erfahrungen, die ich machen durfte, sowie die Menschen, die ich getroffen habe. Besonders nach meiner Rückkehr in die Schweiz habe ich gemerkt, dass es sich doch irgendwo um zwei unterschiedliche Welten handelt und wie wertvoll dieser Einblick in eine andere Kultur war. Die Zeitspanne von einem Jahr war dabei sehr geeignet, um im Land richtig anzukommen und wirklich in die Sprache einzutauchen, ohne bereits wieder ans Heimgehen denken zu müssen.

Zuletzt will ich jede:n Austauschstudent:in ermutigen, ohne Scheu jede Gelegenheit zum Chinesisch üben im Land selber zu nutzen, zumal die Reaktion meistens sehr positiv ausfällt, und zu versuchen, nicht nur im internationalen Umfeld hängenzubleiben, das zugegebenermassen auch immer sehr spannend ist.

Marissa Bortlik

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